Verfassungsschutz vs. PSDU

Girl Frisking Soldier – Banksy in Bethlehem (Flickr: Sebastian Piedoux, CC BY-NC 2.0)

Wen schützt der Verfassungsschutz?

Der VS ist der deutsche Inlandsgeheimdienst, der „extremistische“ Organisationen und Einzelpersonen überwacht. Wer als „extremistisch“ gilt, entscheidet der VS selbst. Eine wissenschaftliche Grundlage gibt es dafür nicht. Der Begriff des „Extremismus“ ist ein politisches Dogma, das von der sog. „Hufeisentheorie“ ausgeht. Der zufolge gibt es eine „gute Mitte“ und „böse Extreme“ („Rechtsextreme“, „Linksextreme“ und „Islamisten“). Er ist damit eine Neuauflage der Totalitarismus-Doktrin aus dem Kalten Krieg, die Kommunismus und Faschismus gleichsetzte.

Der VS ist darüber hinaus selbst in „extremistische“ Kreise verstrickt, vor allem in rechtsextreme: Der Geheimdienst bezahlt beispielsweise Neonazis als Informanten, wodurch er der rechten Szene faktisch bei ihrer Finanzierung hilft. 2003 scheiterte ein Verbot der NPD, weil die Partei derart stark mit vom VS bezahlten V-Leuten durchdrungen war, dass das Gericht nicht sagen konnte, ob die Partei eventuell vom VS „ferngesteuert“ war. Darüber hinaus war der VS nachweislich tief in die Machenschaften der NSU-Terroristen verstrickt und behindert und manipuliert seit Jahren die Aufklärung in diesem Fall. Das gilt auch für den NRW-Verfassungsschutz.

Kritiker werfen dem VS eine „lange Traditionslinie des Vertuschens und Verharmlosens rechter Gewalt“  vor, halten ihn für von demokratischer Aufsicht „unkontrollierbar“ und meinen, dass er „nicht dem Schutz der Demokratie, sondern der Überwachung politischer Gegner, der Steuerung von antidemokratischen Szenen und dem Erhalt und Ausbau des eigenen Einflusses“ dient und fordern daher seit Jahren die Auflösung der Behörde.

Verfassungsschutzberichte über PSDU

Der VS NRW hatte bereits im April 2024 – also nach der Unterzeichnung des Verbots, aber vor dessen Vollzug – öffentlich über PSDU berichtet, und zwar in seinem Verfassungsschutzbericht zum Jahr 2023. Darin wurde PSDU fälschlicherweise als „Bündnis“ bezeichnet, obwohl sich die Gruppe explizit nie als Organisationsbündnis, sondern als Initiative von Einzelpersonen organisierte.

Interessanter Weise wird als „Beleg“ für „Gefährlichkeit“ von PSDU ausgerechnet ein Beitrag anlässlich des Jahrestags der Reichspogromnacht von 1938 herangezogen:

„In einem Instagram-Beitrag vom 9. November 2023 anlässlich des Gedenktages der Novemberpogrome äußerte die Gruppierung unter anderem: „Erinnern muss bedeuten, für alle zu kämpfen, die durch diese deutsche Kultur der aktiven Ignoranz getötet wurden und werden.“ Diese Aussage legte nahe, dass sich die Formulierung „diese deutsche Kultur“ auf die Haltung der deutschen Politik zum Umgang mit Juden beziehungsweise mit Israel bezog. Die Palästina Solidarität Duisburg bezeichnete diese Kultur als „aktive Ignoranz“ und äußert, dass dadurch Menschen sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart getötet wurden. Auf diese Weise deutete die Gruppierung eine Parallele zwischen einer damaligen „aktiven Ignoranz“ in Form der Ermordung von Juden während des nationalsozialistischen Holocausts und der heutigen aktiven Ignoranz, ausgedrückt durch die heutige Positionierung der deutschen Regierung an der Seite Israels im Krieg gegen die HAMAS, an. Dieser implizite Vergleich stellte eine Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus gegen Juden dar.“ VS-Bericht NRW 2023, S.61

1.       Handelte es sich bei dem vom VS NRW zitierten Post gar nicht um einen Beitrag von PSDU, sondern lediglich um einen Repost auf Instagram, der ursprünglich von einem andere Account verfasst wurde.

2.       Es ist abstrus, wie der VS hier krampfhaft versucht, einen Satz, der ganz offensichtlich davon zeugt, aus den Verbrechen der Nazis und namentlich dem antisemitischen Terror Lehren für die Gegenwart zu ziehen, in eine antisemitische Aussage umzudeuten. Es handelte sich um eine Kostprobe, die einen Vorgeschmack auf die Verbotsverfügung von PSDU gab.

3.       Der Vorwurf der „Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus gegen Juden“ stellt – zumindest wenn damit auch eine Verharmlosung des Holocausts gemeint ist – in Deutschland eine Straftat dar. Der VS NRW versucht also aus einer Meinungsäußerung, die letztlich nichts anderes sagt als: „Damals wie heute schaut Deutschland beim Völkermord aktiv weg“, Holocaustleugnung und -relativierung zu konstruieren. Ein weiterer Vorgeschmack auf die PSDU-Verbotsverfügung.

Auch der Bundesverfassungsschutz hatte im April 2024 in einem Bericht über „Palästinasolidarität im dogmatischen Linksextremismus“ auf PSDU verwiesen.  Dort hieß es, PSDU sei ein „Beispiel für das gemeinsame Engagement dogmatischer Linksextremisten mit propalästinensischen Strukturen“ und „von Anfang an ein wesentlicher Mobilisierungstreiber“ gewesen. Im selben Text gibt der VS allerdings zu, dass „die Agitation von Linksextremisten gegen den Staat Israel nicht auf antisemitischen Beweggründen“ beruht, und „sich nicht gegen Jüdinnen und Juden als solche“ richtet. „Sie ist vielmehr im antiimperialistischen Weltbild der meisten dogmatischen Linksextremisten begründet, wonach Israel „Kapitalismus“ und „Imperialismus“ zugeschrieben wird.“ (VS Bund) Damit widerspricht der Bundesverfassungsschutz letztlich dem VS NRW, der PSDU in der Verbotsverfügung nicht nur durchgehend „israelbezogenen Antisemitismus" vorwirft, sondern sogar die Verbreitung der antijüdischen christlich-abendländischen Ritualmordlegende (Verbotsverfügung gegen PSDU, Bl. 30) sowie der antisemitischen „jüdischen Weltverschwörung“. (Verbotsverfügung gegen PSDU, Bl. 33)

Geheimdienstinformationen über PSDU

Wie aus der Verbotsverfügung und den Anlagen hervorgeht, hat der VS NRW PSDU infiltriert. Da PSDU keinerlei Straftaten begangen hat, sind die daraus gewonnen Geheimdienstinformationen entsprechend langweilig: Es gab interne Chatgruppen und Tagesordnungen bei Treffen, lauten die Erkenntnisse des Spitzels. Außerdem listet der VS die Namen von 15 mutmaßlichen PSDU-Mitgliedern auf, ohne dafür Belege zu liefern. Um das Ganze aufzupeppen, steuerte der VS Falschinformationen bei: Eine davon lautet, dass PSDU „konspirative“ (d. h. geheime, illegale) Treffen und Lesekreise organisiert habe. (Verbotsverfügung gegen PSDU, Bl. 33) In Wahrheit hat PSDU sämtliche Treffen und Lesekreise öffentlich beworben und dazu eingeladen. Lediglich die Treffpunkte wurden nur auf Anfrage an neue Interessierte mitgeteilt, um Störer abzuhalten.

[1] https://www.bpb.de/themen/linksextremismus/dossier-linksextremismus/263507/contra-extremismusmodell-ein-inhaltsleerer-kampfbegriff/

[2] https://jusos.de/argumente/die-geschichte-vom-hufeisen-warum-der-extremismusbegriff-ueberholt-ist/#:~:text=Die%20Hufeisentheorie%2C%20die%20keinen%20Unterschied,die%20einzige%20demokratische%20Legitimit%C3%A4t%20besitze.

[3] https://www.sueddeutsche.de/politik/entlohnung-von-v-maennern-subventionierung-der-braunen-szene-1.1595610

[4] https://www.deutschlandfunk.de/hintergrund-geschichte-aktuell-parteienverbote-npd-erneuter-verbotsantrag-100.html

[5] https://www.nsu-watch.info/2014/09/der-verfassungsschutz-wusste-gut-bescheid-interview-mit-dem-rechtsanwalt-sebastian-scharmer/

[6] https://www.nsu-watch.info/2017/02/verfassungsschutz-skandal-von-ungeheurer-dimension-pressemitteilung-von-nsu-watch-nrw-vom-11-02-2017/

[7] https://netzpolitik.org/2019/das-problem-verfassungsschutz-hat-eine-lange-geschichte/

[8] Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2023, S. 61.

[9] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/hintergruende/DE/linksextremismus/palaestina-solidaritaet-im-dogmatischen-linksextremismus.html

[10] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf  Bl. 30.

[11] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Bl. 33.

[12] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Bl. 247.

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